Hohe Anforderungen für Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts

Geschrieben von RA Christian Grema am Donnerstag, 05.11.2015

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat nochmals den Ausnahmecharakter und die hohen Anforderungen an den vollständigen Entzug (eines Teils) des elterlichen Sorgerechts - hier v.a. des Aufenthaltsbestimmungsrechts - betont. Gerade in Eilverfahren muss zuvor stets das mildestmögliche Mittel in Betracht gezogen werden.

In dem entschiedenen Fall wurde den Eltern eines Kindes im Rahmen eines einstweiligen Anordnungsverfahrens ohne mündliche Verhandlung die elterliche Sorge u.a. für die Teilbereiche Aufenthaltsbestimmungsrecht, Gesundheitsfürsorge und schulische Angelegenheiten entzogen. Insoweit wurde Ergänzungspflegschaft angeordnet und ein Ergänzungspfleger bestellt (aufgrund des ihm übertragenen Aufenthaltsbestimmungsrechts hat dieser jederzeit die Möglichkeit, das Kind ohne weitere Mitwirkung eines Gerichts aus dem Haushalt der Eltern zu nehmen). Hintergrund dieser Entscheidung waren schulische Probleme des Kindes, welche sich durch einen geplanten Umzug der Mutter nach Ansicht des Familiengerichts noch zu verstärken drohten. Gerade der geplante Umzug verdeutliche, dass die Mutter Entscheidungen nicht immer zum Wohle des Kindes treffe, so die Richter.

Das BVerfG hat den Beschluss des Oberlandesgerichts, mit welchem die Entscheidung des erstinstanzlichen Familiengerichts bestätigt worden ist, aufgehoben, soweit es den vollständigen Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts betraf. Das Bundesverfassungsgericht betont nochmals die hohe Intensität eines solchen Grundrechtseingriffs und führt hierzu aus:

Eine Trennung des Kindes von den Eltern setzt voraus, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist. Dies ist der Fall, wenn bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei ihrer weiteren Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt. Maßnahmen, die eine Trennung des Kindes von seinen Eltern ermöglichen, dürfen zudem nur unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfolgen.

Unter diesem Gesichtspunkt kritisierte das BVerfG an den vorherigen Entscheidungen der Gerichte vor allem die Tatsache, dass diese sich nicht genügend mit der Möglichkeit milderer Mittel zum Schutz des Kindes auseinandergesetzt und diese in Betracht gezogen hatten. Hierbei sei insbesondere an den Einsatz einer sozialpädagogischen Familienhilfe zur Abwendung eventuell verbleibender Gefahren zu denken gewesen.

Für den vollständigen Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts müsse sich die Entscheidung des Gerichts begründen, warum die Fremdunterbringung des Kindes so dringlich ist, dass die mit dem Abwarten einer abschließenden Sachverhaltsaufklärung in der Hauptsache verbundenen Risiken für das Kind nicht hingenommen werden können. Zwar sei der angegriffenen Entscheidung zu Gute zu halten, dass die Sorge um eine Kindeswohlgefährdung durch einen Umzug der Mutter durchaus nachvollziehbar ist.  Um dies zu verhindern hätten jedoch zumindest das mildere Mittel eines nur teilweisen Entzugs des Aufenthaltsbestimmungsrechts (beschränkt auf die Frage des Umzugs) ernsthaft geprüft und abgewogen werden müssen.

Das dies nicht geschehen ist, beruhte die angegriffene Entscheidung auf einer Verletzung des Elternrechts und war in dem beschlossenen Umfang aufzuheben.

 

(Quelle: BverfG, Beschluss vom 29.01.2015, Az.: 1 BvR 1292/15)
Stichworte: Familienrecht , Sorgerecht, Aufenthaltsbestimmungsrecht
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